Helgen - »Halb oder gar nicht«
Indie & Alternative

Helgen — Debüt-Album »Halb oder gar nicht«

By on August 4, 2017

Wort­ge­wandt kom­men Hel­gen daher und schmei­ßen uns mal eben fünf­zehn ein­ge­hen­de Songs ent­ge­gen. Das Trio über­zeugt in ihrem Debüt-Album »Halb oder gar nicht« mit Lau­ne för­dern­den Indie-Songs und tol­len Texten.

Debüt-Album »Halb oder gar nicht«

Ich habe eine Men­ge übrig für das Dabüt-Album der Band Hel­gen. Deut­sche Tex­te müs­sen schon was kön­nen, damit ich sie ernst neh­men und vor allem mögen kann. Hel­gen schafft das. Hel­gen weiß mit dem deut­schen Wort­schatz umzu­ge­hen und die Band spricht einen mit All­tags­the­men und Wort­spie­len direkt an. Die Band schüt­telt ein sym­pa­thi­sches Indie-Album mit nicht zu wenig Kla­vier-Ein­satz aus dem Ärmel und macht es mir unmög­lich kei­ne Track By Track Rezen­si­on über »Halb oder gar nicht« zu schrei­ben. Ich wer­de aus jedem Song mei­ne Lieb­lings-Zei­len zitie­ren, denn ja, ich glau­be in jedem der vie­len Songs gibt es per­sön­li­che Lieblings-Zeilen.

Track By Track

»Anfang«

Am Anfang des Albums steht der Song »Anfang«. In die­sem nicht mal eine Minu­te lan­gem Intro wird ein C am Kla­vier gespielt. Okay, ein klein wenig mehr pas­siert schon, aber SO viel mehr nun auch wie­der nicht.

»Fernsehturm«

»Fern­seh­turm« ist ein Song über eine offen­sicht­lich unsym­pa­thi­sche Per­son, für die der Sän­ger trotz­dem etwas übrig hat.

»Du hast ein Sen­de­be­dürf­nis wie ein Fernsehturm
Die Nach­rich­ten sind meis­tens schlecht, außer Du berich­test über Dich
Und alle nehmen’s dir übel, nur ich irgend­wie nicht«

- Hel­gen in »Fern­seh­turm«

Der Sound des Songs steht irgend­wie iro­nisch dem Text gegen­über, indem man gedank­lich zum Strand von Hai­ti kata­pul­tiert wird. Man liegt also im Lie­ge­stuhl, schlürft sei­nen Cock­tail und hin­ter einem singt ein Chor über eine Per­son, die schei­ße ist. Irgend­wie ja genau mein Ding.

»Das Vergessnis«

Ein Lied über Ver­gess­lich­keit, aber eigent­lich ein Lie­bes­lied, oder? »Das Ver­gess­nis« star­tet text­lich wie­der mit wort­ge­wand­ten Zei­len und Syn­ony­men zur »Ver­gess­lich­keit«. Alles wird ver­ges­sen nur DU bleibst im Gedächtnis.

»Ich hab ein löch­ri­ges Gedächtnis
Ein foto­gra­fi­sches Vergessnis
Ich ver­gess Namen, ver­gess Worte
Ver­gess Orte an denen ich war«

- Hel­gen in »Das Vergessnis«

Ein chil­li­ger Song, der ein biss­chen zum nach­den­ken anregt aber nicht unbe­dingt trau­rig stimmt. Hel­gen schafft es immer mit einem dezen­ten Humor auch erns­te­re The­men aufzulockern.

»Das Rätsel«

Mit »Das Rät­sel« lässt Hel­gen sei­ne Hörer und Höre­rin­nen erst­mal ein biss­chen grübeln.

»Es steht ker­zen­ge­ra­de, wenn man es erwischt
Es spricht mit Dir, aber Du siehst es nicht
Es reimt sich auf nichts, was es wirk­lich gibt
Du weißt nicht, wie schön es eigent­lich ist«

- Hel­gen in »Das Rätsel«

Wer nicht auf die Ant­wort kommt, muss das Lied wohl oder übel zu Ende hören. Die Auf­lö­sung folgt.

»Gator«

Hier pas­siert ein wenig Quatsch auf einer E‑Gitarre. Wie nennt man das? Intro nur eben dazwi­schen? Zwischtro?

»Nackt«

»Nackt« ist wie­der ein Song über die Lie­be. Wenn ich das Lied rich­tig inter­pre­tie­re, han­delt es von der Unfä­hig­keit zu Lügen wenn man liebt. So schee.

»Ich bin nackt
Dafür brauch ich mich nicht auszuziehen
Denn Du siehst wenn ich lüge
Egal wie oft ich’s übe«

- Hel­gen in »Nackt«

»Hamburg und Amsterdam«

»Ham­burg und Ams­ter­dam« ist wie­der ein Lie­bes­lied, doch dies­mal offen­sicht­lich ein Trau­ri­ger zum in die Decke kuscheln, Eis essen und zum Song wei­nen. Ja ja, die Tücken einer Fern­be­zie­hung, wie es auch schon Annen­May­Kan­te­reit immer gesagt hat. Nee Moment, die Haup­städ­te kamen in dem oft gefrag­ten Song über die Mut­ter vor und die Fern­be­zie­hung im 3. Stock war wie­der ein ande­res Lied.

»Und die Wahr­heit ist, dass ich Dich vermiss
Und dass es gelo­gen war, dass es mich nicht trifft«

- Hel­gen in »Ham­burg & Amsterdam«

»Schlecht«

»Schlecht« ist ein Song bei dem man schnell mal mit der Inter­pre­ta­ti­on dane­ben grei­fen kann. Dezen­te Iro­nie und schrä­ge Aus­sa­gen machen aber genau das aus, was ich an deut­schen Tex­ten so mag. Wenn ich das Lied rich­tig ver­ste­he, geht es um das ver­meint­lich schlim­me Sin­gle-Dasein. In einer Bezie­hung geht es einem ja immer gut und die armen Sin­gles haben den Kür­ze­ren gezo­gen. Stimmt nur nicht ganz, wenn man end­lich den ätzen­den Part­ner los wird und wie­der frei und glück­lich sein kann. 

»End­lich mach ich wie­der das, was ich wegen dir gelas­sen hab
End­lich geht’s mir nicht mehr gut.«

- Hel­gen in »Schlecht«

»Lass uns Feinde sein«

Die­ser Song ist text­lich einer mei­ner Lieb­lin­ge des Albums und ich tu mich wirk­lich schwer das rich­ti­ge Zitat aus den Lyrics zu zie­hen. Die Stro­phen bestehen aus gelun­ge­nen Meta­phern, in denen ver­meint­li­che Freun­de als Mau­ern aus Papier bezeich­net wer­den. Der Refrain macht das Gan­ze etwas direk­ter und für’s Ver­ständ­nis, wor­um es in dem Lied eigent­lich geht, zitie­re ich jetzt ein­fach mal daraus.

»Ich will den Leu­ten sagen, dass ich sie schei­ße finde
Ich will, dass Leu­te sagen, wenn sie mich schei­ße finden«

- Hel­gen in »Lass uns Fein­de sein«

»Alles was wahr ist«

»Alles was wahr ist« ist schein­bar ein Song über Schein und Wahr­haf­tig­keit. (Schön gesagt)

»Alles was wahr ist, bleibt
Und alles was lau­warm oder karm da war, ist vorbei
Alles was wahr ist, bleibt
Und alles was schein­bar Schein war, ist vor­bei
«

- Hel­gen in »Alles was wahr ist«

»Zwölf«

Der elf­te Song ist Song »Zwölf« und schon wie­der so ein Zwischentro.

»Es passiert«

Der zwölf­te Song ist der Song »Es pas­siert«. Es geht dar­um, etwas zu ris­kie­ren, damit sich was ver­än­dert. Inhalt­lich ein schö­ner Song, der gegen­über den Lie­bes­lie­dern in mei­nen Augen zu den Bes­se­ren gehört. Ich habe im All­ge­mei­nen eine Schwä­che für Songs, die dar­um han­deln, man selbst zu sein und ins kal­te Was­ser zu sprin­gen, um etwas zu errei­chen. Genau mein Ding!

»Du weißt, dass bald pas­siert was nie passiert
Und dass es Dich ver­än­dern wird
Und es wird Zeit, dass es passiert«

- Hel­gen in »Es passiert«

»Paul & Peter«

»Paul & Peter« hat mich am Anfang sehr an »Die Bal­la­de von Wolf­gang und Bri­git­te« von Wir sind Hel­den erin­nert. Schon bei die­sem Song fand ich es ein­fach groß­ar­tig, wie mit die­sen typisch deut­schen Namen eine eher abstru­se Geschich­te erzählt wur­de. »Paul & Peter« ste­hen hier aber weni­ger für kon­kre­te Per­so­nen einer Geschich­te. Paul und Peter sind in die­sem Lied eher stell­ver­tre­ten­de Per­so­nen für »Die Leu­te« mit einer auf den Punkt tref­fen­den Aussage:

»Was Paul über Peter sagt
Sagt viel mehr über Paul als über Peter
Denk mal über dich nach
Was Paul über Peter sagt
Sagt, dass Paul ein Pro­blem mit sich selbst hat«

- Hel­gen in »Paul & Peter«

»Fressneid«

Die Situa­ti­on, das haben zu wol­len, was man nicht hat. Eigent­lich so ein Kind­heits-Ding, aber ja, ich kann bestä­ti­gen, auch bei Erwach­se­nen kommt es oft genug vor. Bei mir zum Bei­spiel. Isst jemand ein Eis, will ich auch Eis. Ist ein Eis auf einem Pla­kat abge­bil­det, will ich auch ein Eis. Ich bin total anfäl­lig dafür.

»Und hast du ’ne Freun­din, und ich hab keine
Dau­ert es nicht lang, und ich will deine«

- Hel­gen in »Fress­neid«

»Halb oder gar nicht«

Kom­men wir end­lich zum Tit­le-Track des Albums aber damit lei­der auch schon zum letz­ten Song. »Halb oder gar nicht« wird einem Tit­le-Track mehr als gerecht. Ein ver­hält­nis­mä­ßig ruhi­ger Song, der tat­säch­lich ein wenig unter die Haut geht und am Ende dann doch Ganz oder gar nicht ist.

»Jede schlech­te Idee pro­bie­ren wir aus
Egal wel­ches Fens­ter, wir leh­nen uns raus
Wenn, dann machen wir’s halb oder gar nicht
So lan­ge alles schwebt müs­sen wir nicht landen«

- Hel­gen in »Halb oder gar nicht«

Helgen auf Tour

Ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber mich über­zeu­gen Hel­gen auf jeden Fall. Text­lich haben die Jungs was drauf und sie kön­nen sowohl zum Fei­ern, als auch zum Nach­den­ken anre­gen. Die Band geht im Herbst mit ihrem neu­en Album übri­gens auf Tour. Ich bin dabei!

04.10.2017 — Dres­den (Ost­pol)
05.10.2017 — AT-Wien (Kram­la­den)
06.10.2017 — Nürn­berg (club stereo)
07.10.2017 — Leip­zig (Moritz­bas­tei / Ratstonne)
08.10.2017 — Ber­lin (Aus­ter Club)
09.10.2017 — Han­no­ver (Lux)
11.10.2017 — Kiel (Schau­bu­de)
12.10.2017 — Ros­tock (Hel­gas Stadtpalast)
13.10.2017 — Göt­tin­gen (Nör­gelbuff)
14.10.2017 — Stutt­gart (Cafe Galao)
15.10.2017 — Lud­wigs­ha­fen (das Haus)
17.10.2017 — Mün­chen (Mil­la)
18.10.2017 — Frank­furt (Pony­hof)
19.10.2017 — Düs­sel­dorf (Pit­cher)
20.10.2017 — Köln (Ste­reo Wonderland)
21.10.2017 — Müns­ter (Cafe Sputnik)
22.10.2017 — Ham­burg (Knust)

Nach einer so aus­führ­li­chen Bespre­chung der deut­schen Songs von Hel­gen und nach­dem ich aus jedem Song ein Zitat gezo­gen habe, dürf­te klar sein, dass Hel­gen auf mei­ner #Wort­kunst Play­list nicht feh­len darf. Seit heu­te fin­det ihr »Paul & Peter« neben vie­len ande­ren groß­ar­ti­gen deut­schen Wort­kunst-Songs in die­ser Playlist.

© Titel­bild: Car­li­toPix

 

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